Wie Göttinnen und Götter in Frankreich
Ein Samstag im April, es hat geregnet, wie so oft die letzten Tage und Wochen. Unser Wecker klingelt, leider sehr früh, manche mögen sagen nicht früh genug, aber die Abfahrt und der obligatorische Espresso aus der Bialetti lassen mich wach werden.
Das Ziel: Die Calanques bei und um Marseille, respektive Cassis.
Uns lockt der Kalk direkt am Meer, Pain au Chocolat und die Aussicht auf eine Woche gutes Wetter.
Wer wir sind? Insgesamt 22 junge Menschen, die sich sonst montags beim Klettertreff und der Juma zum Klettern in der Heidelberger DAV-Halle treffen und die Bock auf Abenteuer haben. Da immer nur Plastik schrubben nicht das primäre Ziel, sondern eher Mittel zum Zweck ist, geht es dieses Jahr nach Frankreich. Nachdem letztes Jahr die erste Ausfahrt in ähnlicher Größe in Arco stattgefunden hatte, musste auf jeden Fall erst einmal ein neues Ziel her. Zweimal an denselben Ort, naja, das straft das Wort Abenteuer lügen…
Also los geht die Reise: Im Vereinsbus, einem gemieteten Neunsitzer und einem PKW brettern wir (natürlich die Geschwindigkeitsbegrenzung und StVO beachtend) in Richtung Süden. Durch die Schweiz hindurch, die Sonne geht gerade über dem Berner Oberland auf, und schlappe zehn Stunden später ist die größte Herausforderung, am letzten Osterferientag Frankreichs, noch einen Parkplatz in Cassis zu finden. Wir belohnen uns mit einem kurzen Sprung ins Mittelmeer und sind heilfroh, als die Bungalows bezogen und die Lebensmittel eingekauft sind. Zum Auftakt gibt es selbstgemachte Spinatknödel. Sie sind wohl nicht das französischste Essen, aber lecker und reichhaltig allemal.
Sonntag, der 07. April, es ist bedeckt und hat kuschelige 18 bis 20 Grad. Da kommt uns die Südwand im Calanque Sormiou gerade recht. Bis zu sechs Seillängen im unteren fünften und sechsten Grad führen uns von Meereshöhe wieder hinauf und belohnen uns mit schönen Aussichten auf das gleichnamige Fischerdorf. Auch das Team Sportklettern wird fündig und zieht sich die Finger im scharfkantigen Kalk lang und kommt auf seine Kosten.
Abends treffen wir uns wieder fürs gemeinsame Abendessen und Planen der nächsten Tage. Und so vergeht die Zeit wie im Flug… Am Mittwoch wird uns durch etwas Regen ein Tag Pause auferzwungen, den meine Finger wohlgemerkt bitter nötig hatten. Für eine Wanderung in die Calanque d‘EnVeau reicht es nachmittags trotzdem und ein Vormittag auf der Terrasse bei guter Gesellschaft, Kaffee und guter Musik vermittelt wahres Urlaubsgefühl.
Eine Woche ist zu wenig - das wird uns spätestens bewusst, als wir zum ersten Mal in die Rote Wand in der Bucht von Cassis abseilen. Im Sektor Ouvreur de Bouse (der Kuhfladen) werden wir trotz des Namens reich belohnt. Vier bis sechs Seillängen vom fünften bis siebten grad führen durch die brüchig anmutende Wand 100 Meter wieder nach oben, direkt vor das Objektiv unbedarfter Tagestourist*innen, die, auf der Suche nach einem neuen Instagram Profilbild, an der Kante herumturnen. Als Ostwand ist sie prädestiniert für warme Tage und wir freuen uns, dass erst ab nachmittags die Sonne reinscheint. Gleich zwei Tage kommen wir hierher. Die Kletterei ist steil, jedoch mit vielen Henkeln versehen und bombenfest, auch wenn hier und da fünf Zentimeter Schutt auf den Bändern liegt. Naja, wer‘s in Schriesheim kann, kann‘s auch in Südfrankreich.
Aber auch beim Sportklettern kommt man angesichts der vielfältigen Routen mit oft traumhaftem Meerblick auf seine Kosten. So nahe dem Fischerörtchen Morgiou, welches wir über ein enges Bergsträßchen erreichen auf dem es zum Glück kaum Gegenverkehr gibt. Nach kurzem Zustieg seilt sich ein Teil der Gruppe in ihren Sektor ab, während die anderen noch etwas weiter gehen wollen. Im Sektor Crèche erwarten uns gut abgesicherte Routen von 3b bis 6b+. Während sich die einen direkt in die Wand stürzen, gehen es die anderen kulinarischer an, setzen erstmal Kaffee auf und genießen den Blick auf die Bucht. Nach der Kletterei wird natürlich noch kurz ins angenehm kühle Meer gesprungen, bevor wir alle auf die rote Wand fahren, wo wir das Team Mehrseillänge treffen. Dort beobachten wir den Sonnenuntergang über den Inseln vor Marseille bei einer wohlverdienten Pizza.
Auf der Nordseite des Rocher des Goudes im Calanque de Callelongue werden wir mit einem Schmankerl nach dem anderen belohnt. Drei formschöne fünfunddreißig Meter Klopper im Grad 6a/6b reiben unsere Fingerkuppen auf. So viele schöne Routen, Potenzial, um ein ganzes Leben lang wiederzukommen.
Die größte Odyssee steht uns jedoch noch bevor… Der Titel „Eine ganz normale Reise mit der JDAV“ kommt nicht von Ungefähr. Vorweg sei gesagt, dass wir alle unverletzt und gesund wieder in Heidelberg gelandet sind, eine unkomplizierte Rückreise war uns aber nicht vergönnt. Am vorletzten Tag gab leider der allseits geschätzte und vielgenutzte Vereinsbus den Geist auf.
Nach einigem Hin und Her war klar: Bis morgen wird er nicht mehr heile und zum Glück wurde niemand verletzt. Eine Lösung musste her, denn montags musste nicht nur ich wieder zur Arbeit, und ein paar Tage länger bleiben klang zwar verlockend, jedoch hätte das an anderer Stelle zu anderen Problemen geführt….
Und so startete das Abenteuer: erst ging es mit dem ÖPNV und möglichst viel Gepäck nach Marseille, mit zwei spontan aus dem Ärmel geschüttelten Mietautos fuhren wir dann nach Straßburg, von wo aus uns die Deutsche Bahn in gewohnt zuverlässiger Manier nach Heidelberg brachte. 14. April, Sonntagabend 21.45 Uhr, ich falle tot ins Bett und kann mich nur beglückwünschen, wie viel Freude Klettern und Bergsport bringen. Eine Frage bleibt, bevor ich im tiefen Schlaf versinke:
Wohin fahren wir eigentlich beim nächsten Mal??
Bis dahin viel Freude in den Bergen
Alexander Bock für die JuMA